Quelle: SOS Mitmensch - Alexander Pollak
Studie: Österreich hinkt beim Zugang zum Wahlrecht hinterher
SOS Mitmensch hält eigene Nationalratswahl für NichtstaatsbürgerInnen ab
Demokratieexperten und Betroffene fordern das Ende des
Ausschlusses von mehr als 1 Million Menschen von demokratischer
Beteiligung. Die Demokratieforscher Prof. Rainer Bauböck und Gerd
Valchars präsentierten auf einer Pressekonferenz von SOS Mitmensch
Ergebnisse einer europäischen Wahlrechtsstudie, die Österreich ein
schlechtes Demokratiezeugnis ausstellt. Im europäischen Vergleich
hinkt Österreich sowohl beim Wahlrecht als auch beim Zugang zur
Staatsbürgerschaft hinterher. Integration wird behindert. SOS
Mitmensch kündigt an, als Zeichen für eine inklusive Demokratie am
24. September eine eigene Nationalratswahl für NichtstaatsbürgerInnen
abhalten zu wollen.
"Die Anzahl der ausländischen Wohnbevölkerung in Österreich
beträgt etwa 1 Million. 40 Prozent davon leben schon länger als 10
Jahre in Österreich; 15 Prozent sind in Österreich geboren.
Österreich gehört zu den europäischen Staaten mit den höchsten
Anteilen von Einwanderern an der Bevölkerung, aber zu den
restriktivsten beim Zugang zu politischen Rechten und
Staatsbürgerschaft. Daraus folgt, dass ein großer Teil der
Gesellschaft zwar den Gesetzen unterworfen, aber von demokratischer
Beteiligung ausgeschlossen ist. Ohne Behebung dieses
Demokratiedefizits kann von Integration nicht ernsthaft gesprochen
werden", so Prof. Rainer Bauböck vom European University Institute.
"Die Dynamisierung der Gesellschaft erfordert neue politische
Antworten, auch in Bezug auf die Ausgestaltung der Demokratie. Neben
der Schaffung eines realistischen Zugangs zur Einbürgerung, muss auch
ernsthaft über die Öffnung der Demokratie für NIchtstaatsbürgerInnen
diskutiert werden", so Gerd Valchars von der Universität Wien.
Laut europäischer Wahlrechtsstudie gehört Österreich zu jener
Minderheit von 12 europäischen Staaten, in denen das Wahlrecht strikt
an die Staatsbürgerschaft gekoppelt ist. Eine allgemeine Erweiterung
auf regionale Wahlen gibt es in Dänemark, Großbritannien, Schweden,
der Slowakei und Ungarn. Als Alternative zum Ausländerwahlrecht
können Einwanderer über den Zugang zur Staatsbürgerschaft das Recht
auf demokratische Beteiligung erhalten. Österreich gehört jedoch
gemeinsam mit den baltischen Staaten auch in dieser Hinsicht zu den
restriktivsten in der EU. Die Benelux-Staaten, Finnland, Irland,
Griechenland, Schweden und die Slowakei kombinieren relativ inklusive
Staatsbürgerschaftsgesetze mit dem allgemeinen kommunalen Wahlrecht
für Drittstaatsangehörige.
SOS Mitmensch sieht im Ausschluss von mehr als 12 Prozent der
Wohnbevölkerung von Wahlen eine Einschränkung der Demokratie. "Die
österreichische Politik betrifft alle, die hier ihren
Lebensmittelpunkt haben, unabhängig vom Pass. Daher werden wir am 24.
September die erste österreichische "Pass egal Wahl" abhalten. Alle,
die hier leben, aber keinen österreichischen Pass haben, können an
der Wahl teilnehmen. Damit vervollständigen wir symbolisch die am 29.
September stattfindende Nationalratswahl", so Alexander Pollak,
Sprecher von SOS Mitmensch.
Für mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten plädieren auch Betroffene des
Wahlausschlusses:
"Seit 6 Jahren lebe ich in Österreich. Die österreichische Politik
schafft die Rahmenbedingungen für mein Leben hier. Um mich hier
politisch repräsentiert zu fühlen und um meine Umgebung demokratisch
mitzugestalten, muss die Nationalratswahl auch meine Wahl sein", so
die 26-jährige Sarah Schneider, die mit deutschem Pass in Österreich
lebt.
"Seit fast einem Jahrzehnt lebe ich in Österreich. Ich frage mich,
warum ich nicht mitbestimmen und einen eigenen Beitrag in die
Gesellschaft einbringen darf. Zweifellos ist das Leben in Österreich
auf einem hohen Niveau. Wenn ich davon erzähle, wie die alltäglichen
Probleme in Österreich gelöst werden, sind meine Zuhörer in
Usbekistan einfach erstaunt. Gerade deshalb ist es traurig zu
beobachten, wie viele Stimmberechtigte ihr Recht nicht nützen und auf
ihre Wahlbeteiligung verzichten, während andere, die gerne
mitgestalten würden, vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Jede Stimme
zählt", so die 35-jährige Alisa Izmaylova, die mit usbekischem Pass
in Österreich lebt.
"Dass mir nach 23 Jahren in Österreich das Recht auf die
Staatsbürgerschaft und auch das Recht auf politische Mitbestimmung
verweigert wird, kann ich nur als irrational bezeichnen. Die Politik
bewirkt damit, dass ich jetzt zu fühlen anfange, dass das eigentliche
Ziel ist, mich und alle, die in der gleichen Situation sind, aus dem
demokratischen Prozess auszuschließen und in einer
Parallelgesellschaft zu halten", so der 46-jährige Paulo Bitencourt,
der mit brasilianischem Pass in Österreich lebt.
"Seit etwa 9 Jahren bildet Österreich meinen Lebensmittelpunkt.
Ich studiere, arbeite und wohne in Wien. Natürlich habe ich in dieser
Zeit die österreichische Politik verfolgt. Sei es zum Thema
Studiengebühren, zu der Erhöhung der Parkgebühren oder der
Wehrpflicht. Meine Stimme dazu durfte ich aber nie offiziell abgeben.
Ich halte das für falsch. Wenn einem großen Teil der Bevölkerung die
demokratische Teilnahme verweigert wird, leidet die Legitimation des
Staates und seiner Gesetze darunter", so der 26-jährige Hernan
Villamizar, der mit kolumbianischem Pass in Österreich lebt.
~
Rückfragehinweis:
SOS Mitmensch
Alexander Pollak
Tel.: 0664 512 09 25
mailto:apo@sosmitmensch.at
www.sosmitmensch.at
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