Dienstag, 25. November 2014

TTIP: Häufig gestellte Fragen zum ISDS


Wozu wurde ISDS ursprünglich eingeführt?

ISDS besteht weltweit bereits in hunderten bilateralen und multilateralen Investitionsverträgen (BIT), etwa als Teil des Energiecharta Vertrags oder einem bilateralen Abkommen zwischen Albanien und Österreich.
Ursprünglich wurde es als Notinstrument eingeführt, wenn in Ländern kein verlässliches Rechtssystem mit unabhängigen Gerichten zur Verfügung stand oder keine Gesetze zum Schutz gegen Enteignung in Kraft waren. Der Investitionsschutz sollte damit auch in jenen Ländern ausländische Investitionen ermöglichen, die bisher kein Vertrauen bei Unternehmen genossen hatten. Es bestehen daher zahlreiche Verträge zwischen Österreich und ehemaligen Sowjet-Staaten, die vorwiegend dazu dienten, österreichische Investitionen abzusichern. Klagen gegen Österreich durch ISDS-Klauseln hatten bisher daher keine Bedeutung.

Wie hat sich ISDS weiterentwickelt?

Im Laufe der 1990er Jahre wurde ISDS nicht mehr ausschließlich gegen die direkte Enteignung (etwa einer Fabrik), sondern vermehrt auch gegen „indirekte Enteignung“ angewandt. Laut einem OECD-Bericht hat sich in den letzten Jahren eine regelrechte„Klagsindustrie“ von spezialisierten Anwälten etabliert. Die Anzahl der Fälle steigt rasant an. Es herrscht beinahe Konsens unter Experten, dass der Mechanismus in der bestehenden Form nicht belassen werden kann. Insbesondere Lücken zum Missbrauch (etwa „Treaty shopping“) müssten geschlossen werden. Es laufen daher unterschiedliche Prozesse zur Reform von bestehenden bilateralen Investitionsverträgen bei der Europäischen Kommission, der OECD und der UNO.

Wovon ist ISDS betroffen?
Zwei Beispiele, wie mit ISDS gegen Gesetze im Umweltbereich geklagt wurde:
1. Atomausstieg Deutschland
Der schwedische Energiekonzern Vattenfall klagte im Rahmen des Energiecharta Vertrags die Bundesrepublik Deutschland auf 3,5 Milliarden Euro Schadensersatz wegen der Entscheidung aus der Atomkraft auszusteigen.
2. Frackingverbot Quebec
Der Konzern Lone Pine Resources klagte die kanadische Provinz Quebec auf 250 Millionen Dollar Schadensersatz, weil das dortige Parlament ein Moratorium auf die Förderung von Schiefergas erlassen hat.
Beide Verfahren sind anhängig.
Jedes Gesetz, das Einnahmen von Unternehmen durch „indirekte Enteignung“ bedroht, ist potentiell in Gefahr. Der vollständige Anwendungsbereich auf zukünftige Gesetze – oder Entscheidungen von Behörden im Rahmen von Zulassungsverfahren – ist nicht abschätzbar. Neben einem auch in Österreich in Zukunft möglichen Moratorium auf die Förderung von Schiefergas könnte auch gegen jedes einzelne in Österreich beschlossene nationale Gentechnik-Anbauverbot in Zukunft eine Klage vor einem Schiedsgericht eingebracht werden.

Was ist an einem ISDS-Mechanismus, als Teil eines Abkommens mit den USA, außergewöhnlich?

Politiker unterschiedlicher Fraktionen halten ISDS in einem Abkommen mit den USA schlicht fürnicht notwendig, da auf beiden Seiten des Atlantiks unabhängige Gerichte auch ausländischen Investoren faire Verfahren garantieren. So argumentieren etwa niederländische Liberale, dass die Objektivität des Europäischen Gerichtshofes durch den Vorschlag, mit ISDS ein „neutrales“ zusätzliches Rechtsystem etablieren zu müssen, in Frage gestellt wird. Schließlich bezweifelt weder die Europäische Kommission noch die US-Regierung, dass der Europäische Gerichtshof auch für ausländische Unternehmen ein faires Verfahren garantiert.

Welche konkreten Nachteile hat ISDS gegenüber ordentlichen Gerichten?

  • Ein paralleles Rechtssystem, das über dem nationalen Höchstgericht steht, ist der Grundgedanke von ISDS, da es unabhängig von staatlichen Gerichten sein soll. Der Kläger kann sich das Forum des Verfahrens daher aussuchen bzw. erhält eine „zweite Chance“. Klagen können unter Umständen sogar doppelt – vor ordentlichen Gerichten und Schiedsgerichten - eingebracht werden.
  • ISDS ist kein „neutrales Forum“. Mehr als die Hälfte der „Richter“ sind laut OECD im Hauptberuf Firmenanwälte. Mehr als 60% von diesen vertreten auch Investoren in ISDS-Streitigkeiten als Anwälte. Ein Seitenwechsel, der für unabhängige Richter unvorstellbar wäre.
  • Staaten können praktisch nur verlieren: Nur (ausländische) Investoren haben das Recht zu klagen. Wenn diese einen Fall gewinnen, können sie oft mit Milliardenentschädigungen rechnen. Staaten bleiben selbst wenn sie eine Klage erfolgreich abwehren können, oft auf hohen Anwalts- und Prozesskosten (durchschnittlich 6,5 Mio. Euro pro Fall) sitzen.
  • Kaum Transparenz: der Kläger (und der Beklagte) kann beantragen, dass ein Verfahren nicht öffentlich sein soll
  • Beschränkter Zugang: Die hohen Kosten beschränken den Zugang für kleinere Investoren, Klagen zahlen sich nur bei Großinvestitionen aus
  • Unternehmerische Risiken von Investitionen werden sozialisiert, während Gewinne bei den Unternehmen bleiben (ISDS funktioniert ähnlich wie eine Kreditausfallsversicherung im Exportgeschäft)
  •  „Chilling Effect“: ISDS kann Gesetze bereits im Voraus verhindern, indem es als Druckmittel von Lobbyisten eingesetzt wird. Durch hohe Prozesskosten und Klagsrisiken treten gewisse Gesetze gar nicht erst in Kraft. Insbesondere kleine Staaten mit wenigen spezialisierten Beamten meiden Klagen und einigen sich daher im Vorfeld. 

Kann ISDS Gesetze – etwa Verbesserungen im Umweltbereich – aushebeln?

Ja. Grundsätzlich bestehen zwar nur Schadensersatzansprüche, diese können jedoch aufgrund der Höhe –  bei einer Einmalzahlung in Milliardenhöhe oder auch für laufend entfallende Einnahmen – zu derartig hohen finanziellen Belastungen für Staaten führen, dass Gesetze zurückgenommen werden müssen. Kleinere Staaten sind von diesem Effekt stärker betroffen.

Welche Vorteile hat ISDS?

  • Paralleles Rechtssystem: dem Rechtssystem im Land, in dem investiert wird, muss nicht vertraut werden
  • Schnelle Verfahren
  • Entscheidungen sind endgültig (keine Berufungsmöglichkeit)
  • Entscheidungen sind durch UN-Konvention international durchsetzbar
  • Wirkt ähnlich wie eine Versicherung (gegen Gesetze, die künftige Einnahmen bedrohen), Risiken können für Auslandsinvestitionen gesenkt, Gewinne dadurch erhöht werden

Ist ISDS reformierbar?

ISDS kann zwar verbessert werden (Transparenz, Übernahme der Prozesskosten durch erfolglosen Kläger), an die Qualität ordentlicher Gerichte kann es nur herankommen, wenn unabhängige Berufsrichter die nebenberuflichen Schiedsrichter ersetzen. Richter an ordentlichen Gerichten dürfen aus gutem Grund keinen Nebentätigkeiten nachkommen oder die Rolle zwischen Anwalt und Richter ständig wechseln.
Die fehlende Unabhängigkeit der Richter ist ebenso wie das parallele Rechtssystem eine systemische Herausforderung, die daher im bestehenden Mechanismus nicht reformiert werden kann. Verbesserungen von bestehenden BITs sind zwar erstrebenswert, mittelfristig sollten jedoch Alternativen an deren Stelle treten.

Welche Alternativen zu ISDS gibt es?

  • Verbesserter Zugang für ausländische Investoren und schnellere Verfahren beiordentlichen Gerichten: für Abkommen mit hochentwickelten Staaten wie den USA oder Kanada oder innerhalb der EU (mittelfristig)
  • Internationaler Investitionsgerichtshof mit Berufsrichtern: als Ersatz für bestehende BITs (mittelfristig)
  • Private oder staatliche Versicherungen zur Absicherung von Investitionsrisiken im Ausland: nur in Ländern mit relativ gut entwickelten Rechtssystemen möglich und leistbar (kurzfristig)

Wer entscheidet, ob ISDS ein Bestandteil von TTIP wird?

Laut einer (bisher geheim gehaltenen) Analyse des Juristischen Dienstes des Rates müssen insbesondere Abkommen, die Investitionsschutzmechanismen enthalten, als „gemischte Kompetenz“ eingestuft werde und daher von allen nationalen Parlamenten ratifiziert werden.Darüber hinaus müssen in jedem Fall das Europäische Parlament und der Rat TTIP mehrheitlich zustimmen (im Rat ist eine qualifizierte Mehrheit notwendig).



Petition gegen TTIP

Ein Veto Österreichs ist möglich! Fordern Sie jetzt von öster­reichischen Abgeordneten und EU-Parlamentariern, die Bedrohung für unsere Umwelt und Gesundheit zu stoppen.

Quelle: Greenpeace Austria
und Newsartikel - 20 März, 2014

2 Kommentare:

  1. AK Executive Summary #1

    Bei den Verhandlungen der Europäischen Union mit Drittstaaten zu
    Handelsabkommen stehen derzeit insbesondere die Gespräche der
    EU mit den USA zum Transatlantic Trade and Investment Partnership
    (TTIP) und das mit Kanada verhandelte Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) im Mittelpunkt. Die AK hat sich mit den verschiedenen Facetten dieser Handelsabkommen auseinandergesetzt
    und trifft folgende Feststellungen:

    Transparenz bei den Verhandlungen Alle Versionen der Abkommenstexte
    zu den einzelnen Kapiteln müssen während jedes Verhandlungsschrittes
    dem Europäischen Parlament, den Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

    Auswirkungen der Handelsabkommen auf Beschäftigte und
    VerbraucherInnen
    Die bisher bekannten Einschätzungen zu den wirtschaftlichen Effekten
    von TTIP gehen nur von bescheidenen Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung aus. Im Gegenzug tragen ArbeitnehmerInnen und
    KonsumentInnen jedoch ein hohes Risiko, dass die negativen Auswirkungen der Handelsabkommen auf ihrem Rücken ausgetragen werden.
    Durch den verstärkten Wettbewerbsdruck sind Dumpinglöhne, Mini-Jobs und prekäre Arbeitsverhältnisse zu erwarten. Das bewirkt kein Wirtschaftswunder, sondern Unsicherheit und soziale Missstände.

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  2. Investitionsschutzbestimmungen
    Sind weder in CETA noch in TTIP aufzunehmen, weil die nationalen Rechtsordnungen in den EU-Mitgliedstaaten, den USA und Kanada bereits heute weitreichende Bestimmungen zum Schutz des Eigentums vorsehen und damit höchstens das Gemeinwohl gefährdet wird.

    Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS)
    Für die Schlichtung von Investitionsstreitigkeiten sind weiterhin ordentliche
    Gerichte mit öffentlichen Verfahren, unabhängigen RichterInnen und Instanzenzug zu betrauen.
    Private Schiedsgerichte sind strikt abzulehnen, da ihnen eine strukturelle Befangenheit anhaftet und die Gefahr besteht, dass Streitigkeiten nicht fair gelöst werden.

    Regulierungszusammenarbeit – Regulatory Cooperation
    Es ist jede Einschränkung der parlamentarisch-demokratischen Rechtsetzung durch Konsultationsverpflichtungen und ähnliche Abstimmungsmodalitäten zu unterlassen.
    Die Beurteilung, welche Gesetze und Bestimmungen unnötig und belastend sind, darf nicht nach rein handelspolitischen Erwägungen oder aus Kostengründen erfolgen.
    Die Einrichtung transnationaler Gremien, in denen alle künftigen Regulierungen auf den Prüfstand kommen sollen, wird abgelehnt.
    AK Positionspapier . TTIP, CETA

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