Donnerstag, 20. November 2014

Grundsatzprogramm der SJ Österreichs - Teil 6: Die Bedeutung der Sozialpolitik

Die Bedeutung der Sozialpolitik für die sozialistische Bewegung



Die Schaffung neuer sozialer Leistungen hat jahrzehntelang den Kampf der sozialistischen ArbeiterInnenbewegung geprägt:
- der 8-Stunden-Tag,
- bezahlter Urlaubsanspruch,
- die Kranken- und Unfallversicherung,
- Arbeitslosengeld und Krankenversicherung,
- die Schaffung von BetriebsrätInnen,
- kostenloser Schulbesuch etc.

sind das Ergebnis eines oft jahrzehntelangen Ringens der ArbeiterInnen-bewegung mit Unternehmen und Regierung.

All diese Verbesserungen haben die Lebensqualität der arbeitenden Menschen, der lernenden und arbeitenden Jugendlichen, unerhört gesteigert. Der Wohlfahrtsstaat konnte erfolgreich als Instrument zur materiellen Besserstellung der ArbeiterInnenklasse genutzt werden.

Die Erfolge beim Aufbau eines umfassenden Wohlfahrtstaates haben darüber hinaus in vielen Fällen günstigere Voraussetzungen für die Fortsetzung des Kampfes um eine sozialistische Gesellschaft geschaffen.
 - Erst die deutliche Senkung der zulässigen Höchstarbeitszeit ermöglichte es schwer arbeitenden Menschen, sich politisch zu betätigen, sich in Parteien, Gewerkschaften und Vereinen zu organisieren.
 - Erst die soziale Absicherung gegen Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit gab und gibt vielen Arbeiterinnen und Arbeitern die Sicherheit und den Mut, den Kampf für weitere Verbesserungen aufzunehmen.

Nicht zuletzt haben erreichte Erfolge der ArbeiterInnenbewegung immer wieder als Beweis dienen können, dass deutliche Verbesserungen erkämpfbar sind und haben so zu einer Steigerung des Selbstvertrauens der arbeitenden Klasse beigetragen.


Die neoliberale Demontage des Sozialstaats

Der Weltweit seit den 80er-Jahren eingesetzte Abbau des Sozialstaats droht nun genau den umgekehrten Effekt zu haben. Die Zerstörung sozialer Netze hat zu einer dramatischen Zunahme der Massenarmut geführt.
Das Unvermögen der sozialistischen Bewegung, diese Entwicklung aufzuhalten ist auch auf mangelnde Entschlossenheit im politischen Kampf zurückzuführen: die in den 60er und 70er-Jahhren des 20. Jahrhunderts entstandene Annahme, der Sozialstaat könne eine „soziale Marktwirtschaft“, einen „sozial gerechten“ Kapitalismus schaffen, hat sich als falsch erwiesen.
Die Prinzipien und Funktionsweisen des kapitalistischen Wirtschaftssystems stehen in fundamentalem Widerspruch zu sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit und echter Demokratie.

Unter kapitalistischen Bedingungen sind Schritte zur sozialen Gleichstellung aller Menschen zwar möglich, sie sind aber beständigen Angriffen der KapitalistInnen ausgesetzt, die niedrigere Löhne und Sozialleistungen, „Flexibilisierungen“ und längere Arbeitszeiten durchsetzen möchten, um Profite zu maximieren.
Die konsequente Verteidigung der Ziele des Wohlfahrtstaates, wie Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Demokratie, erfordert deshalb die Überwindung des kapitalistischen Wirtschaftssystems, das immer auf die Schaffung von Profiten und nicht auf die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse gerichtet ist.

Die Sozialistische Jugend erteilt der fatalistischen Einstellung, Verbesserungen der sozialen Lage seien erst in einer „besseren Welt von morgen“ möglich, allerdings eine klare Absage.
Wir SozialistInnen kämpfen um die gesellschaftliche und wirtschaftliche Gleichstellung aller Menschen. Dieser Kampf beginnt nicht in einer utopischen Traumwelt von morgen, sondern hat im Hier und Heute anzusetzen. Wir sehen den Kampf um den Wohlfahrtsstaat nicht als Ersatz für den Kampf um eine sozialistische Gesellschaft, sondern als einen Teil davon.
Die Aufstellung und Erstreitung sozialer Verbesserungen, sind wichtige Schritte zur Stärkung der ArbeiterInnenklasse und ihres Bewusstseins. Deshalb tritt die Sozialistische Jugend mit aller Kraft für die Verteidigung und den Ausbau des Wohlfahrtsstaates ein.


Aufgaben des Wohlfahrtsstaates
Ein umfassender Wohlfahrtsstaat hat vier wesentliche Hauptaufgaben zu erfüllen:

- Die Bereitstellung umfassender sozialer Sicherungssysteme soll alle Menschen gegen Risiken wie Armut, Arbeitslosigkeit, Krankheit und reduzierte Erwerbsfähigkeit (Alter, Unfall, Betreuungspflichten) durch Transferleistungen, Versicherungsleistungen und Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen absichern.

- Die Schaffung umfassender und universeller Leistungen ist eine der wichtigsten Bedingungen, um den wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen umverteilende Wirkung von oben nach unten zu geben und alle am gesellschaftlichen Reichtum zu beteiligen. Damit soll ein größeres Maß an Gleichheit zwischen den sozialen Klassen bzw. den Geschlechtern erreicht werden.
Die von Neoliberalen häufig unter dem Titel „Höhere soziale Treffsicherheit“ oder „Modernisierung des Sozialstaats“ geforderte Beschränkung sozialer Leistungen auf „die, die es wirklich brauchen“ bedeutet zumeist nichts anderes, als die Umwandlung umfangreicher und umverteilender sozialer Leistungen in kärgliche Almosen für die Ärmsten der Armen.
Umverteilung und nachhaltige Armutsbekämpfung im Wohlfahrtsstaat erfordern aber breitenwirksame Sozialsysteme, um erfolgreich sein zu können!

Wichtig zur Erfüllung dieser Ziele ist die Erreichung und Erhaltung der Vollbeschäftigung durch die Schaffung gutbezahlter und sicherer (Vollzeit-) Arbeitsplätze.

Der emanzipatorische Charakter des Wohlfahrtsstaates schließlich besteht darin, durch die Schaffung von materieller Sicherheit das Selbstbewusstsein der arbeitenden Menschen zu stärken, die eigene Zukunft selbst zu gestalten, statt sie von anderen gestalten zu lassen.
Umfassende soziale Sicherheit vergrößert die Möglichkeiten, das Leben nach eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten und hat damit eine nicht zu unterschätzende psychologische Wirkung im Kampf der sozialistischen Bewegung. Damit stellt der Wohlfahrtsstaat nicht nur für aktuelle LeistungsbezieherInnen, sondern für alle arbeitenden Menschen einen unschätzbaren Wert dar.

Gerade weil wir die emanzipatorischen Züge des Wohlfahrtsstaates für entscheidend halten, lehnen wir den Versuch neoliberaler Kräfte, das Vertrauen in Sozialsysteme durch regelmäßige künstliche Finanzierbarkeits- und Sozialschmarotzerdebatten zu untergraben, ab. Das Problem sozialer Sicherungssysteme liegt nicht in vereinzelten Missbräuchen des Systems, sondern in den gezielten Versuchen der Neoliberalen, die in Jahrzehnten errungenen sozialen Fortschritte der arbeitenden Menschen zu zerstören.


Formen der Erbringung sozialer Leistungen

Die Verantwortung für die Bereitstellung umfassender sozialer Sicherheit liegt beim Staat. Die Sozialistische Jugend widersetzt sich vehement dem Versuch, durch das konservative Konzept einer „Bürgergesellschaft“, in der „jeder für jeden Verantwortung trägt“, Sozialabbau und Privatisierung sozialer Risiken schönzureden.
Es ist Aufgabe der öffentlichen Hand, ein umfassendes, hochqualitatives und ausreichend finanziertes System sozialstaatlicher Leistungen allen Menschen zur Verfügung zu stellen. Die Sozialistische Jugend tritt dabei für ein System einer von den Versicherten bzw. ihren VertreterInnen selbst verwalteten Sozialversicherung ein.

Die Sozialistische Jugend tritt vehement für ein solidarisches und umlagenfinanziertes öffentliches Sozialversicherungssystem ein. Wir lehnen jede Form der Privatisierung sozialer Sicherungssysteme ab, sei es durch die Zulassung privater MitbewerberInnen zu den öffentlichen Sozialversicherungen, sei es durch die Absenkung öffentlicher Leistungen, selbst bei gleichzeitiger Förderung „privater Vorsorge“.


Finanzierung sozialer Leistungen

Wachsende Aufgaben der Sozialversicherung, wie die Alterung der Gesellschaft und die Erweiterung technisch-medizinischer Möglichkeiten, führen auch zu einer Zunahme der finanziellen Belastung sozialer Sicherungssysteme. Gleichzeitig führt die durch neoliberale Politik erzeugte Massenarbeitslosigkeit, die Schaffung immer mehr atypischer und prekärer Beschäftigungsverhältnisse und das Absinken der Lohnquote am Volkseinkommen dazu, dass der Sozialversicherung dringend benötigte Einnahmen entgehen.

Die durch neoliberale Politik erzeugten Finanzierungsschwierigkeiten werden von bürgerlicher Seite regelmäßig benutzt, die Finanzierbarkeit des Sozialstaats an sich in Frage zu stellen und Sozialkürzungen zu legitimieren.
Die Lösung der vielzitierten „Finanzprobleme“ der Sozialsysteme erfordert allerdings in erster Linie eine Abkehr vom Neoliberalismus und nicht einen weltweiten Kürzungswettlauf.

Die Sozialistische Jugend fordert entschiedene Maßnahmen, um der Sozialversicherung jene Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie für Erhaltung und Ausbau eines hochqualitativen und solidarischen Pensions- und Gesundheitssystems benötigt: höhere Löhne, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und „atypischer“ Arbeitsverhältnisse, mit denen die Sozialversicherungspflicht umgangen wird, sind dringend notwendige und sozial gerechte Maßnahmen um ein solidarisches Sozialsystem zu erhalten und zu verbessern. Zudem gilt es, die Erwerbsquote – insbesonders der Frauen - anzuheben.

Darüber hinaus ist ganz allgemein kritisch zu hinterfragen, wie zeitgemäß die aus dem 19. Jahrhundert stammende Form der Finanzierung der Sozialversicherung – basierend auf den Lohnkosten – heute noch ist. Die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe und damit die Einbeziehung von Zinsen, Abschreibungen und Unternehmensgewinnen in die Sozialversicherungspflicht stellen einen sozial gerechten Schritt zu einer Weiterentwicklung der Finanzierung der Sozialversicherung dar.


Pensionen

Die Sozialistische Jugend tritt der in Pensionsdebatten regelmäßig geschürten Polarisierung zwischen „Jung“ und „Alt“ entschieden entgegen.
Wir fordern öffentliche Pensionszahlungen in einer Höhe, die den Lebensstandard der in den Ruhestand Tretenden wahren. Diverse Pensionskürzungen haben nichts mit sogenannter „Generationengerechtigkeit“ zu tun, sie sind vielmehr eine Umverteilung von jungen und älteren Lohnabhängigen zu SpitzenverdienerInnen und Konzernen.


Gesundheit

Der ungemeine medizinische Fortschritt und die umfangreichen Potenziale für weitere Steigerungen der Lebenserwartung durch neue Behandlungsmethoden und Medikamente stellen einen der größten Erfolge menschlichen Denkens und Handelns dar. Die Sozialistische Jugend fordert, dass alle Menschen weltweit von diesen Errungenschaften profitieren müssen.

In Österreich darf die Weiterentwicklung medizinischer Möglichkeiten nicht dazu führen, dass immer mehr Kosten auf ältere und kranke Menschen in Form von Selbstbehalten und Gebühren abgewälzt werden. Wir fordern die Abschaffung bestehender Selbstbehalte und stattdessen eine sozial gerechte solidarische Finanzierung der wachsenden Aufgaben unseres Gesundheitssystems durch höhere Beitragseinnahmen.


Armutsbekämpfung

Nach einem Vierteljahrhundert neoliberaler politischer Dominanz ist Armut wieder ein enormes Problem der entwickelten Industrieländer geworden. In Österreich ist knapp eine Million Menschen akut arm oder von Armut bedroht.

Um das Armutsproblem zu lösen, bedarf es unserer Meinung nach dreier Ansatzpunkte:
  • Die Bekämpfung atypischer und prekärer Beschäftigungsverhältnisse und die Schaffung sicherer und gutbezahlter Arbeitsplätze
  • Die Schaffung der Möglichkeit, Vollzeitjobs auch annehmen zu können. Besonders Frauen müssen von der Gesellschaft durch die Errichtung flächendeckender Kinderbetreuungseinrichtungen von den weitgehend auf sie abgewälzten Betreuungspflichten entlastet werden. Darüber hinaus bedarf es einer Ausweitung öffentlicher Angebote zur beruflichen (Nach-) Qualifizierung.
  • Schaffung einer steuerfinanzierten und existenzsichernden bundeseinheitlichen Sozialhilfe für alle in Österreich lebenden Menschen. Gleichzeitig fordern wir die Abschaffung von Rückforderungsmöglichkeiten bei der Sozialhilfe.
Familienförderungen

Obwohl Österreichs Ausgaben für Familien im europäischen Spitzenfeld liegen, weist Österreichs Familienförderung eine Reihe akuter Mängel auf:
  • überdurchschnittliche Armutsgefährdung kinderreicher Familien
  • Unzureichende Finanzierung kinderbezogener Dienstleistungen (z.B. Kinderbetreuungseinrichtungen)
  • Förderung traditioneller Rollenbilder, z.B. durch die Heimbleiberinnenprämie „Kindergeld“
  • Diskriminierung nichtehelicher homo- und heterosexueller Lebensgemeinschaften
Die Sozialistische Jugend fordert die Anpassung der Familienförderung an tatsächliche Bedürfnisse, gerade junger Menschen, in Österreich.

Die Schaffung einer eingetragenen Partnerschaft die eine rechtlich gleichgestellte Form des Zusammenlebens für homo- und heterosexuelle Paare als Ersatz für die Ehe ermöglicht, die Schaffung flächendeckender Kinderbetreuungseinrichtungen und die (Wieder-) Einführung der Versicherungsleistung Karenzgeld an Stelle des Kindergeldes sind unsere wichtigsten Forderungen für eine gerechte Familienpolitik, die auch zur Gleichstellung der Frauen in der Gesellschaft beiträgt.

Kernpunkt der Frauenförderungspolitik ist es, Frauen die Aufnahme existenzsichernder Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Dazu ist es notwendig, die momentan vor allem Frauen aufgehalste Haushaltsarbeit zu vergesellschaften (z.B. durch die flächendeckende Schaffung von Kinderbetreuungseinrichtungen) bzw. in Bereichen wo dies nicht möglich ist, eine partnerschaftliche Aufteilung von Hausarbeit durchzusetzen.

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