Dienstag, 26. Februar 2013

Armut bekämpfen – Gerechtigkeit herstellen

Quelle:   DL21 - Demokratische Linke
              Ulrike Hiller / Knut Lambertin / Veit Swoboda



Armut bekämpfen – Gerechtigkeit herstellen    



1. Bereits vor 1998 hatte die Armut ein bedeutsames Ausmaß angenommen. Bis 1998 wurde ihr Charakter als Massenphänomen durch die konservativ- liberalen Regierungen geleugnet. Danach begann unter sozialdemokratischer Ägide die offizielle wissenschaftlich fundierte Analyse der Armut.

2. Die Armut hat viele Gesichter, die materielle Armut ist „nur“ ihr Auffälligstes. Die verschiedenen Armutsdimensionen sind eng miteinander verknüpft, denn die zentralen Armutsdimensionen Einkommen, Bildung und Gesundheit bedingen und verstärken sich in der Regel gegenseitig.

3. Dazu kommt, dass Armut von der Dauer her, recht unterschiedlich aussehen kann: von der Einkommensarmut für einige Monate bis hin zur Armut, die ein ganzes Leben andauern kann. Letztere kann dazu führen, dass die betroffenen Menschen die Hoffnung auf sozialen Aufstieg verlieren.

4. Armut und Reichtum sind verschiedene Seiten der gleichen Medaille. Während die Lohnquote seit über 20 Jahren tendenziell fällt, steigt im Gegenteil der Anteil der Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, inklusive Kapitaleinkommen. 

5. Die Primärverteilung beschreibt die Verteilung, die sich aus dem Marktprozess ergibt. Dabei wird nach Produktionsfaktoren unterschieden: Kapital – Zinseinkommen, Boden - Pachteinkommen sowie Arbeit – Lohneinkommen.

6. Die Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung führt unabwendbar zur Verteilungsungleichheit. Dies ist eine zentrale Erkenntnis aus über 250 Jahren kapitalistischer Wirtschaftsgeschichte. Mit verteilungspolitischen Instrumenten und Institutionen des Wohlfahrtsstaates kann das Ausmaß der Ungleichheit verändert werden.


7. Mit Verteilungspolitik sind alle staatlichen Maßnahmen gemeint, welche die marktliche Verteilung von Einkommen und Vermögen beeinflussen. Manche glauben, Verteilungspolitik beträfe nur die Sekundärverteilung. Dabei sind schon die Zielsetzungen, Prinzipien und Stellenwert einer Verteilungspolitik höchst umstritten.

8. Das komplexe Verständnis von Verteilungspolitik beginnt mit der Feststellung, dass nicht nur Geld, nicht einzelne Güter und Dienste verteilt werden, sondern Lebenslagen mit ihren materiellen und immateriellen Werten. Je nach Ausgestaltung kann Verteilungspolitik die marktliche Ungleichverteilung verschärfen oder abmildern.

9. Das komplexere Konzept von Verteilungspolitik eröffnet jedoch nicht nur eine Einsicht in gesellschaftliche Zusammenhänge und Konflikte, sondern auch in deren Veränderung und Lösung. Dafür bedarf es einer Orientierung, eines Ziel für Verteilungspolitik: soziale Gerechtigkeit !

10. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit beziehen sich neben der Verteilung von Rechten, Freiheiten und Chancen auch auf die Verteilung von Einkommen und Vermögen.

11. Seit dem Zweiten Weltkrieg dreht sich die Debatte um formale und materielle Gerechtigkeitstheorien. Erstere begnügen sich mit Verfahrensgerechtigkeit, letztere streben nach Ergebnisgerechtigkeit. 

12. John Rawls und Jürgen Habermas sind Vertreter formaler prozeduraler Gerechtigkeitstheorien. Ihrer Auffassung folgend, sind die gesellschaftlichen Verhältnisse dann gerecht, wenn sie gerecht erzeugt wurden. Entscheidend ist der Weg, nicht das Ergebnis – Einhaltung der Spielregeln statt Endstand.

13. Andere Gerechtigkeitsbegriffe, die sich auf das Ergebnis beziehen, mögen zunächst weniger Widerstand hervorrufen oder wissenschaftlich differenzierter sein. Dennoch haben sie gegenüber dem Begriff der Verteilungsgerechtigkeit zumeist nicht die Primärverteilung im Blick. Vollends unkonkret und naiv stellen sie sich gegenüber der Ressourcenfrage dar.

14. Dem muss ein sozialdemokratisches Gerechtigkeitskonzept gegenüber gestellt werden. Gerhard Weisser hat hier einen originär sozialdemokratischen Ansatz hinterlassen, in dem er feststellt: 
Im Grunde geht es um das kulturell bestimmte Optimum der Versorgung (nicht das Maximum), die Verteilungsgerechtigkeit, die über Verteilungspolitik erreicht werden muss.

15. Das sozialdemokratische Optimum bedarf eines verteilungspolitisches Diskurses innerhalb der aktuellen sozialdemokratischen Programmatik mit den Eckpfeilern: Menschenwürde, Armutsbekämpfung, Chancengleichheit, gesellschaftliche Integration/Inklusion, Gleichstellung, sowie soziale Sicherheit.

16. Ein sozialdemokratisch initiierter und vorangetriebener Diskurs muss sowohl Primär- als auch Sekundärverteilung mit ihren Instrumenten und Institutionen umfassen. Die Gewerkschaften sind hier ebenfalls zu beteiligen.

17. Um die Fähigkeit einer methodisch aufgebaute Abhandlung über dieses Thema zu sichern, ist jedoch ein entsprechendes Wissen bei sozialdemo-kratischen FunktionärInnen sowie MandatsträgerInnen von Nöten. Dies trägt entscheidend zur Glaubwürdigkeit unserer Partei in Fragen sozialer Gerechtigkeit bei.


18.Der Staat ist ein gewichtiger verteilungspolitischer Akteur. Parlamentarische Mehrheiten müssen danach gefunden werden, inwieweit sich verteilungspolitische Ziele damit verwirklichen lassen. Der Staat ist jedoch kein verteilungspolitischer Monolith, sondern je nach Ebene mit unterschiedlichen Kompetenzen ausgestattet.

19.Der Staat ist aus sich heraus nicht gut oder wird durch die sozialdemo-kratische Regierungsbeteiligung gut. Der Erfolg sozialdemokratischer Verteilungspolitik bemisst sich nach dem Erfolg bei der Bekämpfung der Armut, der Zunahme sozialer Durchlässigkeit, an steigendem Wohlstand sowie sinkenden sozial bedingten Mortalitätsunterschieden.

20.Sozialdemokratische Politik in der Praxis erfordert ein verteilungspolitisches Konzept, dass nicht nur die Lohnpolitik der Gewerkschaften unterstützt, sondern wie beim Puzzle, ein Teil zum anderen fügt. 
Notwendig ist zudem eine Evaluation dieser Politik – über die jeweiligen Armuts- und Reichtumsberichte. 




Ein komplexes System wie die Sozialpolitik erfordert komplexes Wissen, was nicht durch die Summe von Spezialwissen dargestellt werden kann. 

Die Sozialdemokratie muss sich daher nicht nur in besonderer Weise um kommunalpolitischen Nachwuchs bemühen, sondern auch um sozialpolitischen !! 




Quelle:   DL21 - Demokratische Linke
              Ulrike Hiller / Knut Lambertin / Veit Swoboda


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